Jürgen Zimmerer

 

In der sudanesischen Provinz Darfur ereignet sich ein Völkermord. Mindestens 180'000 unschuldige Männer, Frauen und Kinder sind von der Regierung in Khartoum und ihren Janjaweed Milizen bereits in einem Vernichtungsfeldzug ermordet worden. Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, Jan Egeland, schätzt, dass die monatliche Todesrate im Sudan bei 10'000 Personen liegen dürfte. Die Bombardierung von Dörfern durch Kampfflugzeuge, Vertreibung und Erschiessung von Frauen und Kindern, Todesmärsche in die Wüste sowie andere Formen systematischer Gewalt gegen die Fur, Zhagawa und Masaalit dauern noch immer an. Die vereinbarte Waffenruhe wird nicht eingehalten. Seit kurzem halten die von der Regierung unterstützten Milizen Mitarbeiter von Hilfswerken von ihrer Arbeit ab und behindern so die Zustellung von Hilfsgütern an Überlebende. Was sich in Darfur ereignet, ist kein "Stammeskrieg", und diese Katastrophe ist kein ausschliesslich "afrikanisches Problem". Die internationale Gemeinschaft hat sie als Genozid bezeichnet. Und als solcher handelt es sich bei ihr um eine humanitäre Katastrophe, auf welche die Staatengemeinschaft reagieren muss. Europäische Staatschefs haben eine historische und moralische Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen und zu handeln. 

Bis zum heutigen Tag hat es die internationale Staatengemeinschaft versäumt, entschieden und angemessen auf die Ereignisse in Darfur zu reagieren. All die Untersuchungsteams der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen, sämtliche Verhandlungen, alle UN-Resolutionen konnten das Morden nicht aufhalten. Überlegungen, wie die Täter juristisch belangt werden sollen, muten ironisch an, zumal nicht klar ist, wie man der Völkermörder überhaupt habhaft werden kann. Als internationale Vereinigung von WissenschaftlerInnen, die sich mit dem Holocaust und weiteren Fällen von Völkermord auseinandersetzen, rufen wir die europäischen Politiker auf, unmittelbare Schritte zu unternehmen, die dem Völkermord in Darfur Einhalt gebieten. Khartoums Vernichtungsmaschinerie muss unschädlich gemacht, die verantwortlichen politischen Führer ihrer Funktionen enthoben werden. 

Wir schlagen eine neue Herangehensweise vor, um die Gewalt in Darfur einzudämmen. Zunächst muss die Regierung in Khartoum offiziell als verbrecherisches Regime bezeichnet werden, zumal ihre Vertreter als Hauptverantwortliche für das Morden ausgemacht worden sind. Beispiele aus der Geschichte zeigen, dass sich Völkermörder nicht allein durch die Androhung von Strafverfolgung von ihrem Tun abbringen lassen. Ein verbrecherisches Regime wie dasjenige im Sudan soll sich nicht hinter dem Prinzip der nationalen Souveränität verstecken und auf die Gleichgültigkeit der Staatengemeinschaft hoffen dürfen. Die Mitgliedschaft des Sudan in den Vereinten Nationen muss vorerst ausgesetzt werden. Die von Khartoum ausgestatteten Janjaweed Milizen gehören umgehend entwaffnet. Die humanitäre Hilfe für Vertriebene und Überlebende soll erhöht und Hilfswerken ungehinderten Zugang zu Flüchtlingslagern gewährt werden. 

Zur Umsetzung dieser Massnahmen soll die Führung bei der Afrikanischen Union (AU) liegen. Allerdings sind ihre 2000 Mann dieser Aufgabe allein nicht gewachsen, entspricht die Fläche des von ihnen zu befriedenden Territoriums doch etwa derjenigen Frankreichs. Die Hilfe der Europäischen Union wie auch der Vereinten Nationen ist dringend nötig. Europa kann und muss dazu beitragen, dass die Streitkräfte der Afrikanischen Union mit einem stärkeren Mandat ausgestattet werden. Zudem sollen diese logistisch unterstützt werden. 

Frankreich, Deutschland und Grossbritannien sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Französische Truppen sind bereits an der sudanesischen Grenze stationiert. Grossbritannien ist als ehemalige Kolonialmacht eng mit der Region verbunden. Und Deutschland erhielte wie die übrigen Staaten der internationalen Gemeinschaft die Chance, der Deklaration "Nie wieder" zur Geltung zu verhelfen. Sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und elf Jahre nach dem Versagen, den Völkermord in Rwanda zu verhindern oder aufzuhalten, muss die internationale Gemeinschaft beweisen, dass sie ihre Lektion gelernt hat.