Thomas Pegelow

 

Rückblick auf die 7. 'Lessons and Legacies'-Konferenz in Minnesota vom 01. bis 04. November 2002

Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind US-amerikanische Universitäten Orte einer zunehmenden Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Inzwischen hat die Zahl der Lehrveranstaltungen und Veröffentlichungen zu diesem Thema einen kaum mehr übersehbaren Umfang angenommen. Im Verlauf der 1990er Jahre haben sich diese akademischen Studien mittels eigens errichteter Studienzentren, Lehrstühle, Curricula und Fachzeitschriften mit fachübergreifender Ausrichtung unter der Bezeichnung 'Holocaust Studies' institutionell fest etabliert. 

Zu den aktivsten privaten Organisationen, die sich um den Ausbau von Lehre und Erforschung des Holocaust auf universitärer Ebene verdient gemacht haben, zählt die 'Holocaust Educational Foundation'. Zu den Tätigkeiten der Stiftung gehört die Veranstaltung einer eigenen Konferenzreihe, die seit 1989 renommierte Holocaustforscher mit jüngeren Kollegen aus den USA und verstärkt auch Europa und Israel zusammenbringt. 'Lessons and Legacies VII', an der etwa 250 Vertreter aus Forschung und Lehre teilnahmen, fand in Zusammenarbeit mit dem 'Center for Holocaust and Genocide Studies' der 'University of Minnesota' vom 01. bis 04. November 2002 statt. 

Die Konferenz widmete sich dem Schwerpunkt "Der Holocaust in internationaler Perspektive," was sich insbesondere in zahlreichen Vorträgen zu Osteuropa und der Teilnahme einer größeren Zahl nichtamerikanischer Gelehrter niederschlug. In der Anfangssektion zum Thema polnisch-jüdische Beziehungen betonte Alexander Rossino (United States Holocaust Memorial Museum) die zentrale Bedeutung der Kollaboration von Teilen der polnischen Bevölkerung mit den Einsatzgruppen des Reichssicherheitshauptamts zu Beginn des Massenmordes an den Juden im Sommer 1941. Kollaboration war, so Rossino, nicht nur aufgrund deutscher Personalknappheit erforderlich. Sie gab ebenfalls den Einsatzgruppen die nötige Zuversicht für ihre Mordpläne und wirkte einem befürchteten Eingreifen der Wehrmacht wie etwa beim Überfall auf Polen 1939 entgegen. Rossino betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, den Holocaust nicht isoliert als Ereignis der deutschen und jüdischen, sondern der gesamteuropäischen Geschichte zu untersuchen. Piotr Wrobel (University of Toronto) wandte sich gegen Einseitigkeiten in der Betrachtung wie er sie etwa in Jan Gross Studie zur Ermordung der jüdischen Einwohner des Ortes Jedwabne durch ihre polnischen Nachbarn im Juli 1941 sah. Wrobel unterstrich die Komplexität der Reaktionen katholischer Polen, die auch selbstlose Hilfe für verfolgte Juden einschloß. 
In einem gesonderten Abendvortrag ging Jan Gross (New York University) weniger auf die Jedwabne-Kontroverse ein, sondern untersuchte vielmehr Formen und Auswirkungen des Antisemitismus auf die polnischen Nachkriegsgesellschaft. Eine Vielzahl von Vorträgen reflektierte das steigende Interesse der Forschung am Umgang mit dem Vermächtnis des Holocausts in einzelnen europäischen Staaten. In einer Sektion zu den deutschen Eliten untersuchte Michael Allen (Georgia University of Technology) Martin Heideggers Vorträge der frühen 1950er Jahre, in denen er den industrialisierten Massenmord an den Juden auf technokratische Rationalität zurückführte. Diese Interpretation, so Allen, exkulpierte die bundesdeutschen Wirtschaftseliten, die diese Veranstaltungen stark förderten. Ingo Haar (Humboldt-Universität zu Berlin) schloß seinen Vortrag über die Verstrickung deutscher Historiker in die Ostforschung und die Erstellung von Vernichtungsplänen der SS mit Hinweisen auf Verdrängungsstrategien dieser Akademiker in der Nachkriegszeit. 

In der amerikanischen Forschung hat die Goldhagen-Kontroverse der späten 1990er Jahre nicht nur der Täterforschung Auftrieb gegeben, sondern auch das Interesse für NS-Ideologie und die Ideologisierung von Tätergruppen vergrößert. In einer Sektion zur Beteiligung der Polizei am Holocaust wandte sich Edward Westermann (School of Advanced Airpower Studies) gegen eine Unterschätzung ideologischer Faktoren bei der Analyse von Motivationsstrukturen der Täter. Bei Kriegsbeginn waren, so Westermann, Antisemitismus, Antibolschewismus und das Idealbild des "politischen Soldaten" bereits zu festen Komponenten im Normengeflecht der Organisationskultur der Polizei geworden. Jürgen Matthäus (United States Holocaust Memorial Museum) zeigte in seinem Beitrag, daß die Ideologisierung der Ordnungspolizei in den besetzten Ostgebieten nicht als Manipulation "von oben," sondern als eine Mischung von Erfahrung aus konkreten Einsätzen, einer Betonung von Haltung und – weniger ausgeprägt – formaler Schulung zu verstehen ist. 

Auch wenn geschlechtergeschichtliche Perspektiven in der amerikanischen Holocaust-Forschung nach wie vor umstritten sind, haben gerade neuere Arbeiten Erkenntnisgewinne erzielt, die eine Nichtbeachtung dieser Ansätze kaum mehr zulassen. Doris Bergen (Notre Dame University) argumentierte in ihrem Beitrag, daß die Ausübung sexueller Gewalt während des Holocaust sowohl typische als auch singuläre Formen annahm. Zum einen seien etwa Massenvergewaltigungen von Frauen auch aus anderen Genoziden bekannt. Zum anderen aber wären die speziell ideologisch überformten Handlungsmotivationen bezogen auf Vorstellungen von Rasse und Raum einzigartig gewesen. In ihrer Konzeptionalisierung von sexueller Gewalt schloß Bergen Männer, also auch potentielle Opfer, z. B. von Verstümmlungen der Genitalien, gezielt mit ein und brachte diese Formen der Gewalt in Beziehung zu einer Verstärkung von nazistischen Rassen- und Geschlechterhierarchien. 

Andere Sektionen setzten sich mit der Rolle der christlichen Kirchen im Verlauf des Holocausts auseinander, deren Erforschung sich in den letzten Jahren insbesondere über die Beschäftigung mit kirchlichen Würdenträgern fortgesetzt hat. Michael Marrus (University of Toronto) entwickelte seine Überlegungen zum Thema vor allem in Referenz zu Daniel Goldhagens neuem Buch "Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne." Übereinstimmend mit dem Autor forderte Marrus eine deutlichere Betrachtung der Funktionen nationaler katholischer Eliten bei der Umsetzung der anti-jüdischen Gesetzgebung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung in den 1930er Jahren. Anstoß nahm Marrus jedoch an Goldhagens Einseitigkeit in der Interpretation, v. a. an seiner Charakterisierung der Kirche als Hort eines "eliminatorischen Antisemitismus." Statt dessen rief Marrus dazu auf, den historischen Kontext dezidiert mit in die Analyse einzubeziehen und der Ambivalenz historischer Quellen größeren Raum zu geben. 

Weitere Veranstaltungen würdigten das Werk des Historikers Saul Friedländers und diskutierten, den pädagogischen Zielen der Stiftung entsprechend, Herausforderungen und Methoden der Lehre und Vermittlung des Holocausts. Der demnächst in der 'Lessons and Legacies'-Reihe der 'Northwestern University Press' erscheinende Konferenzband wird die zentralen Beiträge auch einem größeren Publikum zugänglich machen.