Karl Heinz Roth

 

Hans Deichmann (1907 – 2004)

Am 7. Dezember 2004 ist Hans Deichmann auf seinem Altersruhesitz in Bocca di Magra gestorben. Er war deutscher Herkunft, seit seiner Emigration im Jahr 1948 aber in Italien fest verwurzelt und Kosmopolit im besten Sinn. Der Weg dorthin war schwer und aufgrund der Zeitumstände voller gefährlicher Hindernisse. 

Hans Deichmann entstammte dem deutschen Großbürgertum. Er wurde 1907 in eine Kölner Bankiersfamilie hineingeboren. Die Weltwirtschaftskrise trieb die Deichmann-Bank, ein traditionsreiches Kreditinstitut der rheinischen Schwerindustrie, in den Ruin. Deichmann musste seine kaufmännische Ausbildung deshalb an anderer Stelle beginnen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften trat er in die Kaufmännische Abteilung des I.G. Farben-Konzerns ein und spezialisierte sich auf das Farbengeschäft in Italien. Zwei Jahre nach Kriegsbeginn wurde er wegen seiner Landes- und Sprachkenntnisse für die "Dienststelle Italien" des für die chemische Kriegsproduktion zuständigen Technokraten Carl Krauch dienstverpflichtet. Seine Hauptaufgabe bestand darin, italienische Bauunternehmen mit ihren Arbeitern als Vertragsunternehmen für den Bau der oberschlesischen Hydrierwerke der I.G. Farben zu gewinnen, zu denen auch das I.G.-Werk Auschwitz-Monowitz gehörte. 

Deichmann hatte zur NS-Diktatur immer in Opposition gestanden, aber was er bei seinen Dienstreisen nach Oberschlesien und Auschwitz sah und hörte, motivierte ihn zum antifaschistischen Widerstand. Im Herbst 1943 schloss er sich der Widerstandsgruppe "Giustizia e Libertà" an und setzte bis zur Befreiung Norditaliens immer wieder sein Leben aufs Spiel. Da er bis zuletzt Zugang zu den höchsten deutschen Stabsstellen hatte, avancierte er zum wichtigsten deutschen Informanten der Resistenza in Norditalien. 

Im Herbst 1945 kehrte Deichmann nach Deutschland zurück, um am demokratischen Wiederaufbau mitzuwirken. Er setzte sich für die Entflechtung des I.G. Farben-Konzerns ein und übernahm die Leitung einer Spruchkammer in Oberursel bei Frankfurt, um parallel dazu die Entnazifizierung der Großindustriellen voranzutreiben. Aufgrund des um sich greifenden Kalten Kriegs wurde sein Engagement jedoch 1948 nicht mehr benötigt. Er kehrte nach Italien zurück und gründete in Milano zusammen mit anderen das Importunternehmen für Düngemittel und Farben SASEA S.A., das unter seiner Leitung prosperierte und neue partnerschaftliche Beziehungen zwischen Management und Mitarbeitern entwickelte. Ende der sechziger Jahre trat er in den Ruhestand. 

Seit der Unternehmensgründung zweigte Deichmann erhebliche Teile der Revenuen zur Unterstützung demokratischer gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Projekte ab. Sein erstes Engagement galt dem Centro Educativo Italo-Svizzero (C.E.I.S.), das traumatisierte und behinderte Kriegskinder betreute. Später unterstützte er den Auf- und Ausbau der Scuola di Musica di Fiesole, aber auch die Mensa bambini proletari in Napoli, in der die Kinder von Anfang an gegen die Gewaltstrukturen der Camorra sensibilisiert wurden. Seit den siebziger Jahren unterstützte er darüber hinaus die Publikation wichtiger Bücher und ermöglichte Übersetzungsprojekte; in den neunziger Jahren finanzierte er die Rettung eines wichtigen Teils der Briefe Arturo Toscanini's. In den USA und mehreren Ländern Zentral- und Lateinamerikas ermöglichte er den Start exemplarischer ökologischer Pionierprojekte. Seiner Initiative ist es aber auch zu verdanken, dass die zu Beginn der neunziger Jahre in finanzielle Schwierigkeiten geratene Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts ihre Forschungsprojekte fortsetzen und ihre Zeitschrift "1999" – jetzt "Sozial.Geschichte – Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts", weiter herausgeben konnte. 

Für die Träger aller diese Initiativen war Hans Deichmann ein stiller Förderer und ein engagierter Freund. Er wollte Ideen voranbringen, die dazu beitragen, eine demokratische und friedliche Weltgesellschaft zu etablieren. Er nahm an allem Anteil, aber er lehnte es entschieden ab, sich dabei selbst in den Vordergrund zu rücken.